Bildung junger Menschen im Förderschwerpunkt Lernen
Expertengespräch in Baden-Württemberg
Expertengespräch in Baden-Württemberg
Auf Einladung des LERNEN FÖRDERN Landesverbands Baden-Württemberg diskutierten Expertinnen und Experten bei einem Fachgespräch die Bedingungen, unter denen junge Menschen mit Lernbehinderungen lernen, ihre Persönlichkeit entwickeln und dadurch bessere Startbedingungen in ihr Erwachsenenleben haben können. Schließlich ist Bildung ein entscheidender Grundstein für eine gelingende Teilhabe – im Arbeitsleben wie in der Gesellschaft. Die Erkenntnisse aus diesem Fachgespräch sind für den Landesverband eine wichtige Arbeitsgrundlage.
Lesen Sie hier die Positionen des Landesverbands (in Fachsprache).
Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und die von ihnen ausgehenden Bildungs- und Beratungsangebote sind in einem modernen Bildungssystem unverzichtbar. Das gilt selbstverständlich auch für Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit ihren förderschwerpunktspezifischen inklusiven Bildungsangeboten, kooperativen Organisationsformen sowie eigenen Bildungs- und Beratungsangeboten. Bedeutsam sind sie mit ihren Leistungen aber nicht nur für Kinder und Jugendliche mit Lernbehinderungen und ihre Eltern, sondern auch für die allgemeinen Schulen, die zunächst für alle Schülerinnen und Schüler zuständig sind, und die Schulträger. Auch deshalb setzen sich viele Städte und Gemeinden für die Sicherung dieser Standorte ein.
Kinder im Förderschwerpunkt Lernen haben die beste Chance auf aktive Teilhabe, wenn ihre Entwicklungsverzögerung bereits im Vorschulalter wahrgenommen und ernst genommen wird. Leider fallen viele Kinder erst in der Grundschule auf. Wichtig ist, dass sie sehr schnell die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
Sonderpädagogische Bildungsangebote müssen allen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, die in den Klassen 1 bis 9 und während der beruflichen Bildung darauf angewiesen sind.
Eine Mindestgröße erleichtert den SBBZ die Planung und Entwicklung regionaler, differenzierter Angebotsstrukturen. Bei Unterschreitung der Mindestgröße wird geprüft, ob und wie diese Angebote zusammen mit anderen SBBZ oder allgemeinen Schulen ausgestaltet werden können. Ergänzende Angebote können auch mit Partnern aus dem Umfeld der SBBZ gemeinsam geplant und entwickelt werden. Diese Kooperationen tragen wesentlich zur Öffnung der Schulen in das kommunale Umfeld bei. Sie helfen den jungen Menschen, eine Form der Lebensgestaltung zu entwickeln, die zu ihren Möglichkeiten und Wünschen passt. Dabei können sie Handlungsfelder erschließen, um ein Höchstmaß an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit für sich zu erreichen.
Sorgen bereitet die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung aufgrund fehlender Ressourcen.
Im Fokus der Lehrerbildung steht die Qualität des Unterrichts. Grundlage für sonderpädagogische Bildung ist – vor dem Hintergrund einer umfassenden sonderpädagogischen Diagnostik des Lebensumfeldes sowie der Persönlichkeitsentwicklung – der individuelle Bedarf des einzelnen Kindes. Schule muss für junge Menschen mit Lernbehinderungen, deren Bildungsbiografie teilweise durch Brüche gekennzeichnet ist, ein Ort verlässlicher Beziehungsangebote sein.
Studierende und Referendare, die sich auf die anspruchsvolle Arbeit eines SBBZ vorbereiten, brauchen die Möglichkeit, schon während der Ausbildung die verschiedenen sonderpädagogischen Handlungsfelder kennenzulernen, um ein grundlegendes Verständnis sonderpädagogischen Handelns entwickeln zu können.
Das Fachwissen im Förderschwerpunkt Lernen muss inhaltlich-fachlich und organisatorisch-strukturell abgesichert bleiben. Das an Hochschulen, Studienseminaren und SBBZ aufgebaute Fachwissen muss Eltern, Elternvertretern und Lehrkräften aller Schularten gleichermaßen zugänglich sein.
Während der Schulzeit müssen für den Einzelnen passende schulische, berufliche und soziale Anschluss- und Erprobungsmöglichkeiten mitgedacht und zum Gegenstand des Unterrichtens gemacht werden. Die Sicherung solcher Anschlussmöglichkeiten – auch in der allgemeinen Schule – ist für Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Lernen wichtiger als die Erlangung des ersten allgemeinen Schulabschlusses. Damit wird dem Anspruch und dem Recht der Schülerinnen und Schüler auf Anerkennung und Zertifizierung ihrer Leistung Rechnung getragen. Die individuelle Leistungsbewertung basiert auf den individuell festgelegten Bildungs- und Erziehungszielen.
Bei den unterschiedlichen Leistungen der Agentur für Arbeit und des KVJS handelt es sich um Unterstützungsangebote, über die in SBBZ Lernen und allgemeinen Schulen zu informieren ist. Die verschiedenen Netzwerke in den Regionen tragen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei. Wichtig ist, dass die jungen Menschen lernen, diese Angebote für sich zu nutzen. Dazu zählen auch Praktika, die von Betrieben mit passenden Anforderungen zur Verfügung gestellt werden. Die Frage der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises für Jugendliche mit entsprechendem Unterstützungsbedarf ist schon während der Schulzeit zu thematisieren.
Die jungen Menschen sind darauf angewiesen, dass alle für sie Verantwortlichen zusammenarbeiten. Der Qualitätsanspruch, den die verschiedenen Partner an Bildung haben, setzt die kontinuierliche Weiterentwicklung sonderpädagogischer Bildungsangebote voraus.
Es ist gut, dass SBBZ in ihrer Region in Netzwerke mit schulischen und außerschulischen Partnern eingebunden sind. Durch außerschulische Partner können der Zugang zur Teilhabe am Arbeitsleben und eine sinnstiftende Freizeitgestaltung eingeübt und damit die Teilhabe in der Gesellschaft angebahnt und gesichert werden. Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe ist für diese Aufgabe zu stärken. Auch können mit der Unterstützung außerschulischer Partner Berufsorientierung und Berufsvorbereitung junger Menschen bereits während der Schulzeit verbessert und der Anschluss an die allgemeine Schulzeit durch die Zusammenarbeit mit Partnern gesichert werden.
Fördervereine sind vielfach Bindeglied zwischen den Schulen und außerschulischen Partnern und leisten so ihren Beitrag zur Sicherung der Teilhabe.
Der Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot lässt sich ausschließlich über eine individuelle Bildungsplanung realisieren. Teilhabe nach den Kriterien der ICF, also Teilhabe an Bildungsprozessen, am Arbeitsleben, an Gemeinschaft in Schule und Freizeit, ist der „Leitindex“ bei der Planung und Gestaltung von Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche im Förderschwerpunkt Lernen. Qualitäten in der Ausgestaltung dieser Bildungsangebote sind Zeit, Beziehungsgestaltung, Professionalität (Erziehung und Didaktik), Anschlusssicherung in höchst komplexen, wechselnden Unterstützungssystemen und Anschlussmöglichkeiten.
Die jungen Menschen sind während ihrer Kindheit und Schulzeit auf Erwachsene angewiesen, die sie annehmen, wie sie sind, eine Beziehung zu ihnen eingehen und sie in ihrer Entwicklung unterstützen und begleiten.
Individuelle Bildungswege gelingen in dem Maße, in dem sowohl gemeinschaftlich wie auch exklusiv gestaltete Bildungsräume im Angebot vorgehalten werden. Solche Formen inklusiver wie auch exklusiver Bildung lassen sich in Formen kooperativer Zusammenarbeit zwischen den Schularten erfolgreich im Sinne eines Kompetenzerwerbs für Schülerschaft und die Schulsysteme realisieren.
Die allgemeine Schule benötigt eine Fachexpertise „Lernen“, um Schülern mit besonderem Förderbedarf gerecht werden zu können. Inklusive Bildungsprozesse machen deutlich, dass eine solche Fachexpertise an allgemeinen Schulen eine Grundvoraussetzung ist, um Lernwege differenziert gestalten zu können und das Anwachsen sonderpädagogischer Diagnosen in Grenzen zu halten. Hierfür werden umfassende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte allgemeiner Schulen benötigt.
Die für Lehrkräfte und Eltern besondere Beratung und Unterstützung müssen frei zugänglich sein. Für erfolgreich verlaufende Bildungsprozesse ist eine wertschätzende, transparente Erziehungspartnerschaft zwischen Schule, Lehrkräften und Eltern erforderlich.
Es braucht dringend im Förderschwerpunkt Lernen ausgebildete Lehrkräfte für die SBBZ Lernen und für allgemeine Schulen, wenn sich Eltern für ein inklusives Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule entscheiden. Qualitativ müssen sonderpädagogische Bildungsangebote an SBBZ, in inklusiven Bildungsangeboten oder kooperativen Organisationsformen vergleichbar sein. Bildungsziele, -inhalte und -wege sind für die SBBZ und für inklusive Bildungsangebote im Bildungsplan beschrieben. Sie müssen auch in inklusiven Bildungsangeboten im Blick sein.
Eltern sind verantwortlich für ihre Kinder, sie haben das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen und für ihre Kinder zu entscheiden. Das Elternwahlrecht ist deshalb selbstverständlich und darf nicht infrage gestellt werden. Nach Verlautbarungen des Kultusministeriums soll es auch nicht eingeschränkt werden. Gleichzeitig werden aber mit dem Argument, dass es eine gewisse Schülerzahl bräuchte, um qualitativ gut arbeiten zu können, keine Standortgarantien gegeben. Je nach Raumschaft kann dies de facto zu einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten führen. In diesen Fällen müssen tragfähige kooperative Lösungen zusammen mit nahe gelegenen SBBZ oder allgemeinen Schulen entwickelt werden, damit Eltern eine Wahlmöglichkeit haben und sich auch zukünftig für ein Bildungsangebot entscheiden können, mit dem sie sehr zufrieden sind – sowohl mit den Leistungsanforderungen, wie sie im Bildungsplan beschrieben sind, und mit dem, was die Lehrkräfte den jungen Menschen vermitteln, als auch mit der Art und Weise, wie diese auf ihren weiteren Lebensweg vorbereitet werden. Dazu gehört auch, dass der Abschluss der Schule nicht als Schulabbruch gewertet werden darf.
Sonderpädagogik folgt dem Subsidiaritätsprinzip. Ungeachtet dessen müssen die Ressourcen, die Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot benötigen, auch für diese Kinder eingesetzt werden.
Lesen Sie hier die Positionen des Landesverbands (in Fachsprache).