Mindeststandards der schulischen Bildung
Bildung und Erziehung von jungen Menschen im Schwerpunkt Lernen
Bildung und Erziehung von jungen Menschen im Schwerpunkt Lernen
Nach den Schulgesetzen der Länder hat jeder junge Mensch das Recht auf eine seinen Voraussetzungen und individuellen Neigungen gemäße Bildung und Erziehung – unabhängig vom Lernort und ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage.
Die Lernausgangslage von Schülerinnen und Schülern im Schwerpunkt Lernen ist so gravierend beeinträchtigt, dass sie derzeit in allgemeinen Bildungsgängen trotz zusätzlicher Hilfen nicht oder nur unzureichend ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten und Begabungen entsprechend gefördert werden können.
Hieraus erwächst Schule der Auftrag, die Basis für ein erfolgreiches lebenslanges Lernen zu schaffen, damit dieser Personenkreis seine Verantwortung, seine Rechte und Pflichten in Staat und Gesellschaft wahrnehmen und die Anforderungen in den Lebensfeldern von Berufs- und Arbeitswelt, Familie, Wohnen und gesellschaftlicher Teilhabe bewältigen kann.
Das Recht wie auch die hieraus resultierenden Pflichten für eine Teilhabe in allen bedeutsamen Lebensbereichen gebieten es, allen Schülerinnen und Schülern den Zugang zu grundsätzlich allen Bildungsinhalten zu ermöglichen und dafür passende Bedingungen zu schaffen. Damit Lehrkräfte die Entwicklung und das Lernen dieser jungen Menschen möglichst passgenau unterstützen können, ist – analog den Bildungsgängen im Primar- und Sekundarschulbereich – in allen Bundesländern ein für den Schwerpunkt Lernen verfasster Bildungsplan notwendig.
Es ist demzufolge Aufgabe aller Bildungseinrichtungen, sich an den höchst individuellen Entwicklungspotenzialen zu orientieren – im Bestreben, den jungen Menschen Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und wirtschaftliche, technische und handwerkliche Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln, die sie für eine aktive Lebensgestaltung benötigen. Die Schule achtet dabei die Würde jeder Schülerin und jedes Schülers unabhängig von deren individuellen Voraussetzungen, dem Alter, der geschlechtlichen Identität sowie der kulturellen und religiösen Zugehörigkeit.
Um lernen zu können, ist erste Voraussetzung eine sonderpädagogische Diagnostik, welche alle diagnostischen Daten, die im Bereich Aktivität und Teilhabe in Zusammenhang stehen, erfasst, bewertet und mit den Beteiligten aus dem Umfeld des Kindes berät und reflektiert.
Eine solchermaßen ICF-CY-geleitete Diagnostik bildet die Grundlage einer kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsbegleitung, die es zum Ziel hat, in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und dem jungen Menschen selbst, individuelle Bildungsziele zu vereinbaren und Bildungsinhalte und -angebote zu benennen. Anzustreben sind Kompetenzen, die Schülerinnen und Schülern eine Teilhabe am schulischen Lernen und am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Ein solchermaßen individueller Kompetenzerwerb orientiert sich an den Unterrichtsfächern unter Bezugnahme auf lebensnahe Themen und individuell bedeutsame Inhalte.
Grundlage für die Gestaltung individueller Bildungsangebote für junge Menschen mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebot sowie für die individuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung ist die Diagnostik durch Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen. In diesem Prozess werden Persönlichkeitsfaktoren und Umweltfaktoren beschrieben und bewertet. Eine individualisierte Erfassung von Stärken und Schwächen, Ressourcen und Barrieren im Umfeld einer Person beschreibt deren Teilhabe und auch deren Teilhabemöglichkeiten.
Krisenhafte biografische, soziale und soziokulturelle Erfahrungen bedingen gerade auch im schulischen Raum ein verlässliches Beziehungsangebot. Die Qualität der Beziehungsgestaltung und mithin personale Kontinuität haben eine besondere Bedeutung für die Wirksamkeit von Lernen.
Beziehung stärkt soziale, emotionale Kompetenzen und erzieht. Für eine durchgängige Entwicklungsbegleitung ist das enge Zusammenwirken von Elternhaus und Schule im Hinblick auf die individuellen Bildungsziele und Anforderungen eine maßgebliche Aufgabe hinsichtlich der Akzeptanz von Unterricht. Therapeutische Dienste können insbesondere bei einer herausfordernden Beziehungsgestaltung als Partner von Eltern und Lehrkräften wichtige Hilfestellung leisten.
Bildungsangebote im Schwerpunkt Lernen zielen darauf ab, die Lernentwicklung von jungen Menschen zu stärken. Dies erfordert, abweichend von den Standards allgemeiner und beruflicher Schulen, didaktische Spezifikationen.
Für die Bildung und Erziehung dieser jungen Menschen hin zu Leistungswille und Eigenverantwortung und auch für die Förderung der jungen Menschen in ihrer Persönlichkeit und ihren Begabungen ist ein hohes Maß an Selbstwirksamkeitserfahrungen notwendig. Didaktische Zugänge hierfür sind vielfältige Formen praktischen Lernens, in denen individuell und altersgerecht lebensweltlich bedeutsame Themen und Inhalte so aufbereitet werden, dass sich Routinen ausbilden lassen, welche die Betroffenen befähigen, auch in veränderten Lebenssituationen kompetent zu handeln. Wesentliche Voraussetzung dafür ist der kompetente Umgang mit den heute verfügbaren digitalen Medien.
Ein solcher Unterricht erfordert fachdidaktische Modelle und Konzepte, nach denen inhaltlich wie auch methodisch zieldifferent gelernt werden kann. Kriterien einer solchen Vorgehensweise sind u.a. ein unmittelbarer Verwendungsbezug, eine konsequente Fehlervermeidung, eine Reduktion komplexer Inhalte auf lebensweltlich Sinnhaftes und eine direkte Instruktion bei der Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, verbunden mit ausreichend Wiederholungen und einer unmittelbaren, stärkenorientierten Rückmeldekultur.
Ein an Teilhabe orientiertes, lebensbedeutsames Bildungsangebot bindet außerschulische Lernfelder aus den Lebensbereichen von Arbeit, Wohnen, Sozialem und Freizeit mit ein. Außerschulische Partner sind bei diesen Formen formaler und informeller Bildung insbesondere auch im Sinne jeglicher Anschlusssicherung wirksam und wichtig.
Wesentlicher Bestandteil schulischer Bildung ist es demzufolge, konkrete Vorstellungen über Wege in Beruf und Arbeit zu entwickeln und Erfahrungsräume anzubieten, in denen die jungen Menschen Kompetenzen für berufs- und arbeitsbezogene Lebenssituationen erwerben können. Für eine zielgerichtete Berufsorientierung bedarf es realistischer Qualifizierungs- und Arbeitsmöglichkeiten.
Neben den schulischen Leistungen in den einzelnen Fächern und den Kompetenzen in den Kulturtechniken spielt die Weiterentwicklung der personalen und sozialen Kompetenzen eine zentrale Rolle im Curriculum der Berufsorientierung. Die kontinuierliche Förderung der Persönlichkeitsentwicklung ist dabei als grundlegendes Unterrichtsprinzip in sämtlichen Klassenstufen zu verstehen.
Die praktischen Erfahrungen und professionellen Rückmeldungen sollen nicht nur Interesse für neue Berufstätigkeiten wecken und Schlüsselqualifikationen stärken, sondern ermöglichen eine realistische Einschätzung eigener Stärken und Schwächen, schaffen die Grundlage für eine berufliche Zielorientierung und sorgen für konkrete Vorstellungen darüber, wie berufliche Ziele erreicht werden können, sowie für die Vorbereitung auf eine selbstständige Lebensführung.
Bei dem genannten Aufgabenspektrum handelt es sich um Unterrichtsformen, welche eine spezifische Fachlichkeit aufseiten der Lehrkräfte voraussetzen. Für eine solchermaßen enge, zieldifferent gestaltete Lernbegleitung bedarf es deutlich mehr Personalressourcen als in den Bildungsgängen allgemeiner Schulen.
Alle Schulen mit Kindern und Jugendlichen im Schwerpunkt Lernen haben Vorkehrungen zu treffen, damit für diese jungen Menschen die Schule ein geschützter Lebensraum ist, in dem sie gemäß ihren Begabungen, unter Berücksichtigung ihrer Beeinträchtigungen und Einschränkungen, lernen können. Sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote gewährleisten diesen fachlichen Support. Ihr Spektrum reicht von Beratungsangeboten über unterrichtsbegleitende Maßnahmen hin zu punktueller Unterstützung in einzelnen Unterrichtsfächern bis zu einem vollumfänglichen zieldifferenten Unterrichts- und Schulangebot. Sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote sind eng mit der allgemeinen Pädagogik und deren Angeboten verknüpft. Die Unterstützungsmaßnahmen sind je nach Einzelfall zeitlich befristet. Eine flankierende Begleitung in den Übergängen zwischen Sonderpädagogik und allgemeiner Pädagogik ist für eine nachhaltig wirksame Einbindung dieser jungen Menschen in das Bildungsangebot allgemeiner Schulen von besonderer Bedeutung.
An der Planung individuell wirksamer Bildungsangebote, tagesstrukturierender Angebote sowie der Entwicklung regionaler, differenzierter Angebotsstrukturen beteiligen sich neben den Schulen die ambulanten Sonderpädagogischen Dienste mit ihren Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die Angebote der Schulsozialarbeit und auch verschiedene Fachdienste – etwa aus dem Bereich der Jugend- und Sozialhilfe – und die nach Land und Kommunen unterschiedlichen Ämter sowie Leistungs- und Kostenträger.